Manche Anwälte wie der legendäre Staranwalt Dr. Michael Stern oder auch in jüngerer Zeit Dr. Georg Zanger oder Dr. Manfred Ainedter wussten schon immer um die Macht der öffentlichen Meinung bei Straf- und Zivilrechtprozessen. Gezielt bedienen sie sich schon seit eh und je der Medien um auch in der Öffentlichkeit Stimmung zu machen. Doch waren die Klienten in der Vergangenheit eher vom medialen Geschick des jeweiligen Anwaltes abhängig, so professionalisiert sich die mediale Begleitung von Straf- und Zivilprozessen in den vergangenen Jahren. Litigation PR macht die Runde. Doch was steckt wirklich hinter diesem Begriff?
Ein Kind der Krisenkommunikation
Der Begriff Litigation-PR kommt ursprünglich aus dem angloamerikanischen Raum und setzt sich aus den beiden Worten Litigation (lat.: litigatus = Streit, Prozess) und PR (Public Relations, deutsch: öffentliche Beziehungen) zusammen. Litigation-PR kommt zum Einsatz vor, während und nach juristischen Auseinandersetzungen. Dabei gilt Litigation PR als „Kind“ der Krisenkommunikation. Die offizielle Geschichte der Litigation PR beginnt in den USA in den 1980er Jahren. Aufsehenerregende Prozesse wie die Anklage des American-Football Star O. J. Simpson 1994 in den USA wegen Mordes an seiner Ex-Frau Nicole Brown Simpson und ihrem Bekannten Ronald Goldman oder die Anti-Trust Klage gegen Microsoft erhöhten das mediale Interesse an Gerichtsverfahren. Microsoft wurde 1995 vorgeworfen, mit der Koppelung von Internet-Software und PC-Betriebssystem gegen den Consent Decree zu verstoßen. In einem gemeinsamen Verfahren reichten das Justizministerium sowie die Staatsanwälte von 20 US-Bundesstaaten eine Antitrust-Klage gegen Bill Gates ein. Unter anderem wurde ihm vorgeworfen, illegale und wettbewerbsfeindliche Praktiken einzusetzen, um Konkurrenten zu schaden und sich dem Wettbewerb zu entziehen.
In Deutschland gilt der „Kachelmann-Prozess“ als Beispiel offensiver Litigation PR, in Österreich haben die Verfahren um die Meinl Bank, Karl Heinz Grasser oder Rakhat Aliyev in diesem Segment Bekanntheit erlangt. Dabei unterstützt Litigation PR die juristische Strategie der beteiligten Anwälte um einerseits die juristische Auseinandersetzung mit Hilfe der Öffentlichkeit zu beeinflussen und gleichzeitig Reputationsschäden des Mandanten zu vermeiden. Dies gilt natürlich insbesondere für börsennotierte Unternehmen. Mittlerweile hat sich Litigation PR auch in Österreich als eigenständige Disziplin etabliert. Im Gegensatz zur Krisenkommunikation muss Litigation PR zumeist jahrelang, parallel zur Prozeßdauer, eingesetzt werden. Der Schritt an die Öffentlichkeit muss beim Einsatz von Litigation-PR immer sehr bedacht und gut überlegt erfolgen. Deshalb sind gezielt eingesetzte und gesteuerte Informationen der weitaus bessere Ansatz, um die gewünschten Kommunikationsziele zu erreichen. Diese können beispielsweise im Zuge von Hintergrundgesprächen oder Interviews an die entsprechenden Dialoggruppen weitergegeben werden.
Wirkt Litigation PR?
Litigation PR ist allerdings nicht nur ein Werkzeug für Anwälte. Auch Staatsanwälte haben in der jüngeren Vergangenheit im Rahmen ihrer rechtlichen und budgetären Möglichkeiten aufgerüstet. Mit Gerhard Jarosch wurde einer der erfahrensten und kompetentesten Medienexperten Erster Staatsanwalt in der Staatsanwaltschaft Wien und Präsident der Vereinigung Österreichischer Staatsanwältinnen und Staatsanwälte. Merkbar ist seit einigen Jahren der deutlich professionellere öffentliche Auftritt der Staatsanwälte. Die Justiz hat sich weiterentwickelt - verständlich, wenn Medienberichte den Ablauf und das Ergebnis von Strafprozessen beeinflussen. Genau dies untersucht seit 2009 Prof. Dr. Hans Mathias Kepplinger, Professor für Empirische Kommunikationsforschung am Institut für Publizistik der Universität Mainz.
„Dabei geht es weniger um die Frage von Schuld oder Unschuld, sondern um das Strafmaß. Auf der Grundlage einer Online-Befragung von 447 Richtern und 271 Staatsanwälten kommt er u.a. zu folgenden Ergebnissen, die manche verblüffen mögen:
95 % der Richter und 99 % der Staatsanwälte über Strafverfahren, an denen sie beteiligt sind, gezielt oder vermeiden sie nicht bewusst. 37 % der Richter und 54 % der Staatsanwälte antworteten auf die entsprechende Frage mit , 58 % der Richter und 45 % der Staatsanwälte mit und der Rest mit ;
Einen Einfluss der Medienberichte auf die bejahen nur ganz wenige Richter und Staatsanwälte. Eine Beeinflussung der Schuldfrage durch Medienberichte sehen nur 3 % der Richter und 9 % der Staatsanwälte;
Knapp ein Drittel der Richter und Staatsanwälte gibt aber ohne Weiteres zu, dass die Medienberichterstattung einen Einfluss auf die hat. Eine Beeinflussung der Strafhöhe sehen 25 % der Richter und 37 % der Staatsanwälte.
An das denken 42 % der Staatsanwälte bei ihrem Strafantrag und 58 % der Richter bezüglich der Strafhöhe ihres Urteils.“
Der Anwalt gibt die Strategie vor
Klar ist somit, wer bei Litigation die Strategie vorgibt, nämlich der Anwalt. Der Kommunikationsprofi begleitet in laufender Absprache mit dem Anwalt und dem Mandanten diese Strategie. Sollte der Anwalt bei Gesprächen mit dem Mandanten nicht dabei sein, dann ist es Aufgabe des PR-Experten sich mit dem Rechtsanwalt auszutauschen bevor er eine Handlung setzt. Diese gelebte hierarchische Strukturierung beugt Missverständnissen vor und erleichtert die Zusammenarbeit genauso, wie eine festgelegte Rollenaufteilung. In vielen Fällen ist es beispielsweise empfehlenswert, wenn der Rechtsanwalt auch die Sprecherrolle gegenüber den Medien übernimmt. Auf der anderen Seite ist der PR-Experte gerade bei zivilrechtlichen Streitigkeiten abhängig von der schnellen Informationsbereitstellung, abseits regelmäßiger persönlicher Jour fixe, durch den Rechtsanwalt um passende mediale Positionen entwickeln und punktgenau Medien ansprechen zu können.
Praxis-Check: Problemfelder zwischen Rechtsanwalt und PR-Experten
Zumeist läuft die Zusammenarbeit zwischen Rechtsanwalt und PR-Experten friktionsfrei. Mir sind jedoch in meiner Funktion als Berufsgruppensprecher der österreichischen PR-Berater auch Fälle bekannt, die eine Zusammenarbeit zwischen Rechtsanwalt und PR-Experten unmöglich machen. In den meisten Fällen beendeten die Kollegen dann das Mandat. Die drei scheinbar häufigsten Problemfelder habe ich für den folgenden Abschnitt zusammengefasst. Selbstverständlich sind alle Beispiele fiktiv, die Reihung ist willkürlich.
Problemfeld 1: Mandant als Marketinginstrument
Wie eingangs bereits erwähnt, begleitet der PR-Experte den Rechtsanwalt bei der Umsetzung der anwaltlichen Strategie. Eine PR-Expertin war hier anderer Meinung. Während der Anwalt defensive Medienarbeit anpeilte, sah sie die Chance sich durch dieses Mandat in der Öffentlichkeit zu positionieren. Das führte dazu, dass sie – wider jede Sachlichkeit - zunächst eine offensive Medienstrategie vorschlug. Als dies auch vom Mandanten vehement zurückgewiesen wurde, fanden sich in Medien die Hinweise wieder, daß sich die Beraterin XY für die PR-Strategie des Mandanten verantwortlich zeichnet. Woher die Journalistin das wisse, konnte die PR-Beraterin nicht schlüssig erklären, zumal die Meldung schon kurz nach der Mandatserteilung erschien. Die Zusammenarbeit wurde umgehend beendet, da der Mandant (und der Rechtsanwalt) das Vertrauen in eine fachgerechte Betreuung verloren hatten.
Problemfeld 2: Rollenvermischung
Ein anderer Kollege hatte Probleme mit einem medieneuphorischen Rechtsanwalt im Zuge einer Konzessionsvergabe. Zwischen Mandant, Rechtsanwalt und PR-Experten wurde bei der Mandatsverteilung vereinbart, dass in erster Linie der Rechtsanwalt bei Anfragen das Gesicht zur Öffentlichkeit sein soll. Der Mandant selbst sollte für Interviews nicht ansprechbar sein und lediglich für Hintergrundgespräche zur Verfügung stehen. Nachdem diese Aufgabenteilung vereinbart war, bereitete der PR-Experte die ersten Interviews vor, die auch durchgeführt wurden. Im weiteren Verlauf fiel dem Medienexperten auf, dass der Rechtsanwalt offensichtlich unabgesprochen Journalisten gegenüber Stellungnahmen abgab und alle Medienanfragen ohne vorherige Rücksprache beantwortete. Dadurch entstand die Gefahr, dass die Medienstrategie der selektiven Informationsweitergabe an der Sprechfreudigkeit des Rechtsanwalts zerbricht. Nachdem mehrere klärende Gespräche zwischen Auftraggeber, Rechtsanwalt und PR-Experten keine Besserung der Situation herbeiführten, beendete der Medienexperte – richtigerweise - von sich aus das laufende Betreuungsverhältnis, da er die Professionalität des Medienauftritts gefährdet sah.
Problemfeld 3: Informationsmangel
Häufiger Quell des Übels ist beidseitiger Informationsmangel. Zunächst ein Beispiel für fehlende Informationen bzw. überdimensionierter Reaktionszeit durch einen Rechtsanwalt. In einem Zivilrechtsverfahren ging es um Schadenersatzforderungen von Konsumenten gegenüber einem Unternehmen. Wie in so einem Verfahren üblich, wurden einzelne scheinbar Geschädigte wiederholt als Beispiel für die Schamlosigkeit des Unternehmens durch die Medien „gezerrt“. Dabei verwendete der Anwalt der Konsumenten die richtige Strategie, nämlich das sogenannte „Framing“. Ist ein „Frame“ erst einmal mit der Begebenheit gedanklich verknüpft, so ist es schwer diese Denkmuster wieder aufzubrechen. In diesem Fall lautete das Frame „Böser, gieriger und kalter Konzern nimmt arme Leute aus“. Damit gegen professionelles Framing angekämpft werden kann, bedarf es eines schnellen Informationsflusses vom Rechtsanwalt zum Medienexperten.
Im konkreten Fall scheiterte die Strategie daran, dass der Rechtsanwalt des Unternehmens schlichtweg die Mediendynamik falsch einschätzte. Schlechte Erreichbarkeit, mangelhafte Auskünfte an den Medienexperten und keine Delegation von Aktenrecherchen an Mitarbeiter der Anwaltskanzlei führte dazu, dass das Unternehmen die Strategie nicht umsetzen konnte. Vergessen wird zumeist auch den Medienexperten über Verhandlungstermine und/oder Befragungen zu informieren. Diesen Gefahren der Abstimmungslücken kann durch regelmäßige Jour fixe grundsätzlich gut begegnet werden.
Derartiger Informationsmangel kommt allerdings auch in die andere Richtung vor. Medienexperten, die vor der Abgabe von Stellungnehmen nicht beim Rechtsanwalt rückfragen, ob sich der Informationsstand etwa seit dem letzten Meeting geändert hat, begehen einen Kardinalfehler - auch wenn ein etwaiges Abstimmungsmeeting erst zwei Tage her ist. Genauso wenig soll vergessen werden, den Rechtsanwalt über jede Stellungnahme vorab zu unterrichten. Keiner der Beteiligten sollte zufällig über zu Medien getätigte Stellungnahmen zufällig stolpern.
Internationale Litigation PR
Besonders herausfordernd ist die Zusammenarbeit bei international heikleren Fällen, wie etwa bei der Vertretung international gesuchter Beschuldigter. Hier ist der PR-Experte zumeist als „Mediensprecher“ gemeinsam mit dem Anwalt die Stimme nach außen. Verständlich, denn der Mandant hat in diesem Fall kein Interesse daran seinen Aufenthaltsort zu verraten, insbesondere, wenn er aufgrund seiner politischen Funktion von der „neuen“ Regierung gesucht wird und keine faire, rechtsstaatliche Behandlung erwartet. So liegt es an dem Rechtsanwalt und dem PR-Experten ein Umfeld zu erzeugen, in dem die Position des Mandanten gehört wird. Einerseits als Stimme nach außen, andererseits als akribischer Vorbereiter von - zumeist äußerst seltenen – Auftritte in einzelnen sorgfältig ausgewählten Medien.
Dabei wechseln sich medial aktive Phasen mit scheinbar medial passiven Phasen ab. Strategie ist oft nur punktuell öffentlich in Erscheinung zu treten, um sowohl als Gesprächspartner interessant zu bleiben als auch keine allzu massiven Reaktionen der Gegenseite zu provozieren. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass die medialen Instrumente punktgenau und präzise sein müssen. Das heißt keine breitflächige Medienarbeit, es werden Einzelmedien ausschließlich punktuell entweder durch Informationsweitergabe, Hintergrundgespräche, Kommentare oder Interviews bedient, um dadurch eine tragfähige Beziehungen zu Journalisten aufzubauen.
Das besonders Herausfordernde dabei ist zumeist die notwendige enge und möglichst rasche Abstimmung aller Beteiligten, das sind Mandant, Rechtsanwalt und PR-Experte. Dabei ist in solch gelagerten Fällen davon auszugehen, dass die üblichen Methoden der Abstimmung – regelmäßige Treffen, Mailverkehr, etc. – kaum möglich sind.
Zumeist weiß der PR-Experte auch gar nicht in welchem Land sich sein Mandant aufhält. Seine primäre Ansprechperson ist in einem derartigen Fall mehr denn der Rechtsanwalt. Dieser bezahlt üblicherweise auch das Honorar des PR-Experten. Die Leistungspalette eines Medienexperten umfasst in einem derartigen sicherlich außergewöhnlichen Auftrag folgende Parameter:
Prozessbegleitende PR: Darunter fällt die laufende Unterstützung und Abstimmung von PR-Maßnahmen ausschließlich in Zusammenhang mit den laufenden Verfahren. In enger Abstimmung mit der beauftragten Kanzlei und dem Mandanten findet die dazu notwendige Medienarbeit statt.
Erstellung von Themenkarten: Es gibt Themenblöcke, die langfristig vorbereitet werden müssen. Abgestimmte Positionen, fertige Antworten, kurz und bündig. Diese werden von dem PR-Experten entworfen, via dem Rechtsanwalt abgestimmt, freigegeben und danach wiederholt auf Aktualität gecheckt. Zu jedem Themenblock wird ein Fragenkatalog erarbeitet. Erst aufgrund der abgestimmten Antworten kann der Medienexperte seine Sprecherfunktion wahrnehmen, ohne im laufenden Kontakt mit dem Mandanten sein zu müssen.
Ansprechperson für Medien: Um die öffentliche Beanspruchung des Mandanten möglichst gering und damit seinen Wert als Ansprechperson hoch zu halten, übernimmt der PR-Experte die Funktion der Medienstelle für den Mandanten. Selbstverständlich werden alle Aussagen inhaltlich mit der beauftragten Rechtsanwaltskanzlei abgestimmt.
Organisation und Vorbereitung einzelner Medientermine: Führt der Mandant selbst mit ausgewählten Medien (z.B. Reuters, Spiegel, etc.) Gespräche, so werden diese Termine umfassend vorbereitet. Das bedeutet das Medium wird vorgeschlagen, die Journalisten werden ausgewählt, die Themen im Vorfeld abgegrenzt und die Journalisten vor und nach dem Gespräch bei Fragen betreut.
Nutzen der gesamten Medienklaviatur: Das Verfassen von Kommentaren im Namen des Mandanten (natürlich inhaltlich abgestimmt), das Führen von Hintergrundgesprächen, die Organisation bei schriftlichen Interviews und das mediale Setzen vorhandener Themen wird ebenfalls übernommen.
Wie finde ich geeignete Litigation PR - Experten?
Litigation PR gilt als Wachstumsmarkt innerhalb der Kommunikationsbranche. Nicht zuletzt deshalb haben sich viele Agenturen/Berater dieses Thema auf die „Fahnen geheftet“. Doch was macht eine gute Litigation-PR-Agentur aus? Hier die wichtigsten Fragen die Sie Ihrer Litigation-PR-Agentur stellen sollten:
Hat der Experte eine nachweisbare juristische Kompetenz, beispielsweise durch Studium oder Tätigkeit als Gerichtssachverständiger?
Welche Mandanten werden vom PR-Experten aktuell betreut, gibt es eventuelle Befangenheiten und wie diskret spricht der Experte über seine aktuellen Mandate?
Welche Verfahren hat der PR-Experte bisher begleitet und gibt es Empfehlungen, die einholbar sind?
Garantiert der PR-Experten tatsächlich für einen längeren Zeitraum seine Verfügbarkeit?
Gibt es in der Agentur eine geeignete Ersatzperson (bei Krankenstand, Urlaub, persönlicher Veränderung)?
Welche Rolle soll der PR-Experte wahrnehmen: Strategischer Berater, Operative Tätigkeiten bis hin zur Sprecherfunktion?
Ist der PR-Experte in der Lage die spezielle Dynamik von Litigation-PR in einem persönlichen Gespräch in Kürze zu erklären?
Bringt der PR-Experte das passende Journalistennetzwerk mit?
Hat der PR-Experte zu dem Thema bereits publiziert?
Mit welchen Anwälten hat der PR-Experte bisher zusammengearbeitet?